Teil II der Geschichte über THE UNIMPORTANT THINGS, dem ersten Soloprojekt von Cairo Reininghaus. Im Spätherbst 1993 ergaben sich durch die Anschaffung eines analogen 8-Track-Recorders (Yamaha) neue künstlerische Möglichkeiten. Und Cairo explodierte förmlich: Songs über Songs entstanden in den folgenden drei Jahren. Und nicht nur die Aufnahmequalität wurde besser, die Musik überhaupt veränderte sich … drei Alben in drei Jahren, ein mega Output. Eröffnet wurde der Reigen mit 1994, das erstmals im April 1994 erschien …
8 Miles High
Im November 1993 habe ich mir einen 8-Spur-Recorder gekauft. Bis dahin hatte ich mit vier Spuren gearbeitet und nach drei Jahren war ich an die Grenzen des Machbaren gekommen. Wenn du allein alle Instrumente einspielst, musst du das meist nacheinander machen. Man fängt mit dem taktgebenden Part an, bspw. mit den Drums. In meinem Fall war das ein Roland TR-626. Um das Schlagzeug räumlich abzubilden (also Stereo), mussten dafür zwei Spuren herhalten. Blieben noch zwei Spuren übrig. Es gab ein Verfahren (Ping-Pong), dass man schon bespielte Spuren zusammenmischen konnte und so wieder Platz hatte. Allerdings ging das immer zu Lasten der Qualität , denn mit jedem Schritt erhöhte sich das Bandrauschen. Nun ja, wenn man sich vorstellt, dass zu einem Song ja meistens noch ein Bass, Gitarren, Keyboards und natürlich Gesang hinzukamen, ist klar, wie eng das Feld wurde. Mit 8 Spuren verdoppelten sich also mit einem Mal die Möglichkeiten. Das war irgendwie auch ein echter kreativer Schub …
Ready To Work
Ich fing also an, mich mit dem Gerät vertraut zu machen. Ich experimentierte dabei anfangs mit dem Drumcomputer und einem Korg Poly 800 Synthesizer. Wenn man die über Midi entsprechend koppelte, steuerte der Drumcomputer entweder den Synthi oder umgekehrt. Ich stellte fest, dass die Drumpads unterschiedliche Töne auf den Synthi erzeugten, die, wenn man eine Weile probierte, ein interessantes Muster bildeten. Das waren zunächst nur Spielereien, doch entstand daraus dann der Song THAT WANT YOU KNOW.
Das nächste Stück, welches ich mir vornahm, war von der Instrumentierung wieder eher „klassisch“ angelegt, also Drums, Gitarren, Keyboards, Bass etc: WHEN THE WIND IS BLOWING. Eigentlich eine Idee, die schon Jahre in der Schublade lag. Nun nahm ich sie auf und schrieb den fehlenden Text dazu. Und so ging es weiter. Ich experimentierte zum Beispiel auch mit mit Geräuschen, die ich in die Songs einband. Plötzlich war Raum da, der solche Sachen zuließ.
Der analoge Recording-Prozess an sich war im Vergleich zum digitalen Zeitalter ein anderer, denn man spielte in der Regel noch den kompletten Part, den ein Instrument in einen Song hatte, ein. Von der ersten bis zur letzten Note. Machte man an irgendeiner Stelle auch nur einen kleinen Fehler, bedeutete dies, alles von vorn. Heute bastelt man ja eher kurze Teile (Loops), die man editieren und beliebig einsetzen kann. Zudem bieten die Digitalen Audio Workstations [Komplett-Software für den PC für alle Bereiche einer Musikproduktion, also Aufnahme, Mastering etc.] eine Vielzahl an Spuren, die bespielt werden können. Grenzen sind da nur durch die Leistungsfähigkeit des Computers gesetzt.
Der Sinn des Lebens
Im Januar 1994 starb meine Oma. Das änderte dann noch einmal die Richtung, denn mit SUCH IS LIFE und FIND YOURSELF entstanden zwei wichtige Songs, die unmittelbar mit diesem Ereignis verbunden waren. Jahre zuvor war schon meine andere Oma gestorben. Beide Frauen waren wichtige Bezugspersonen in meinem Leben gewesen, vor allem in meiner Kindheit. Nun war diese Generation nicht mehr da. Ein schmerzlicher Verlust. Glücklicherweise hatte ich meine kleine Familie, meine Frau, meinen Sohn. Ich war nicht allein. Dennoch.
SUCH IS LIFE und FIND YOURSELF gehen ineinander über, was bei der Aufnahme nicht einfach war. Ich musste vorher schon alle grundlegenden Strukturen der beiden Songs kennen. Später dann das Mischen war auch noch einmal ein Abenteuer.SUCH IS LIFE | FIND YOURSELF
Dazu gibt es auf YouTube auch ein Video:
Noch heute reise ich in meinen Träumen manchmal zurück in längst vergessene Kindertage. Dann komme ich hin und wieder an vertraute Orte, doch meine Omas sind nicht mehr da, Briefkästen mit neuen Namen, leere Wohnungen, fremde Menschen. Nun, eben typische Traumkonstellationen. Das waren also universelle Themen, die nun in die Songs einzogen, der Tod, das Ende des Lebens, oder eines Lebens, aber eben auch das Sich-Finden, den Platz zu bestimmen, das eigene Sein im Universum zu begreifen … Letztendlich entstand aus ähnlichen Gedanken heraus auch A JOURNEY …
Das Equipment
… war überschaubar. Ich hatte meine Gitarre, einen Bass, einen Poly 800 Synthesizer von Korg, den Roland Rhythm Composer TR 626, ein dynamisches Gesangsmikrofon von Tect, einige Gitarreneffekte und dazu noch ein Multieffektgerät von Alesis, das ich vor allem für den Gesang nutzte.
Und mein „Studio“ war ein Teil des Wohnzimmers unserer damaligen Wohnung in Tübingen, in der Memminger Strasse. Das war lustig, weil ich so oft mitten im Leben aufnahm. Mein Sohn, damals fünf Jahre alt sprang um mich herum, meine Frau Felicitas [Phil] war in der Nähe. Später gesellte sich auch gern unser Kater Charly dazu. Der lag manchmal hinter mir auf dem Drehstuhl, während ich Gitarre oder Bass spielte. Das war dann bei den kommenden Alben … Charly kam nämlich erst im Frühsommer 1994 zu uns. Naja, und ich unter den Kopfhörern, irgendwie entrückt in den Songs … Hat gut funktioniert. Klar, die Aufnahmen der Gesangsparts legte ich dann in die ruhigeren Stunden … 🙂
Meeting THE CURE and PINK FLOYD
Ein begeisterter Radiomoderator und großer Musikfan und Kenner (C. Buchegger) erzählte seinerzeit, dass ihn die Musik an eine Mischung aus THE CURE und PINK FLOYD erinnere. Das erstaunte mich damals, vor allem der FLOYD-Vergleich. Aber heute glaube ich, dass einige Momente in FIND YOURSELF ihn dazu bewogen haben. PINK FLOYD habe ich so richtig erst später entdeckt. Die Vergleiche mit THE CURE waren hingegen für mich nicht neu. Das kannte ich schon aus der Zeit mit REAL DEAL [DDR Indieband, 1987-1989]. Es scheint da in meiner Stimme manchmal etwas Robert-Smith-artiges zu liegen, und ja, auch das Equipment war ja aus der Zeit Anfang der 80iger Jahre, also Ähnlichkeiten im Sound durchaus nicht von der Hand zu weisen. Überhaupt klangen so die 80iger Jahre durch, was ich aber nicht wirklich beabsichtigt habe. Natürlich mochte ich Effekte, wie Hall und Delays, Flanger etc. Dennoch: Ich schrieb einfach nur Songs und nahm sie auf, mit einem Equipment, was ich mir leisten konnte. Und das waren eben jene „alten“ Teile.
WHEN THE WIND IS BLOWING
Last Demo
1994 war das letzte Tape, was ich an Plattenfirmen schickte. Phil und ich fuhren damit sogar nach Köln zur PopKomm. Allerdings kamen wir nicht weit. Uns war nicht klar, dass es sich hier um eine Fachmesse handelte, zumindest an dem Tag, an dem wir unser Glück versuchten. Jedenfalls standen wir also mit einem Beutel voller Tapes am Eingang. Die Leute dort wollten irgendwelche Händler- oder Fachleute-Pässe sehen … No way! Schließlich erbarmte sich ein Typ und ließ mich allein hinein. Für eine Stunde, wie er unmissverständlich klar machte. Wer mich kennt, weiß, dass ich nicht unbedingt der Selbstvermarktungstyp bin. Mir fiel (und fällt) es schwer, meine Sachen an die Frau/den Mann zu bringen. Ich bin da immer schnell ganz unsicher … Auf der Bühne ist das übrigens ganz anders, da habe ich keine Probleme.
Ich stolperte also durch die Halle und drückte irgendwelchen Leuten meine Tapes in die Hände. Und wer das Musikbusiness ein klein wenig kennt, weiß, dass dieser Ansatz der völlig falsche ist. Aber ich konnte nicht über meinen Schatten springen. Und war pünktlich und schweißgebadet exakt nach einer Stunde wieder am Eingang. Geworden ist da natürlich nichts daraus. Ich ließ das dann auch mit den Tapeverschicken an diverse Plattenfirmen. Es war mir immer peinlich und so ist es geblieben.
over you (Hang On Your Dreams)
Man muss natürlich sagen, dass die Musik – meine Musik – immer auch eigen war und ist. Wenn man sich 1994 anhört und dann überlegt, was an Musik in dieser Zeit angesagt war, fiel ich natürlich total aus dem Raster. Also, wenn man spassenshalber 1994+Music googelt, wird einem das schnell klar. Außerdem spielte ich ja auch schon einige Zeit keine Konzerte mehr, was für eine mögliche Entdeckung äußerst hinderlich war. Tja, aber so waren die Zeiten. Ich glaube, ich war da nicht mutig genug. Natürlich wäre es schön gewesen, wenn viele Leute die Musik hätten hören können (damals gab es ja das Internet noch nicht so, wie wir es heute kennen). Aber insgeheim hatte ich auch immer ein wenig Angst vor dem, was möglicherweise passieren könnte. Dem Druck und all dem. Von daher geht das völlig in Ordnung.
Die Dirk Darmstätter-Story
Eine schöne Geschichte passierte übrigens ganz am Anfang: Im April waren wir bei einem Konzert der JEREMY DAYS. Die waren live der Hammer und viel besser als auf den eher glattgebügelten Platten. Und als Vorband spielten damals die formidablen NATIONALGALERIE mit dem wunderbaren NILS FREVERT. Ich hatte das ganz frische, eben fertiggemischte 1994-Tape dabei, weil ich es einem Freund geben wollte, den wir beim Konzert treffen sollten. Der Freund kam nicht. Während des Konzerts sah ich dann etwas für mich Erstaunliches: Jemand schmiss ein Tape auf die Bühne! Ich sah, wie die Hülle absprang. Wow, dachte ich, das ist bestimmt ein Demotape! Gleichzeitig fiel mir mein eigenes Tape ein, was ich ja dabei hatte. Aber so einfach noch vorn schmeissen, nein, das war nicht mein Stil.
Nach dem Gig blieben Phil und ich noch eine Weile im Saal. Die Reihen lichteten sich und plötzlich kam Dirk Darmstätter [der Sänger der Jeremy Days] gerade auf uns zugestiefelt. Natürlich wollte er nicht zu uns. Nicht weit von uns standen einige andere Leute, mit denen sprach er. Und ich fühlte mein Tape in der Gesässtasche meiner Jeans plötzlich Feuer fangen. Da war sie, die Gelegenheit! Ich zog es raus und … machte gar nichts. Kein Mut. Da schnappte sich Phil die Kassette, lief die zwei Meter zu Mr. Darmstätter und überreichte sie ihm. Phil, die, wenn es um sie selbst geht, zurückhaltend und sehr scheu ist, wenn es aber um Menschen geht, die sie liebt, zur Löwin werden kann! Ich war baff.
Was der Jeremys-Sänger dann im Einzelnen sagte, weiss ich nicht mehr, aber ein Satz werde ich nie vergessen. Er schaute Phil an und fragte: „Ist das deine Band?“ Und Phil sah nur kurz zu mir herüber. Und damit war die Geschichte beendet. Letztendlich glaube ich, dass er mehr von Phil fasziniert war, als von dem Tape 😉 Acht Jahre später gründete Dirk Darmstätter dann sogar wirklich ein Plattenlabel – Tapete Records. Tja, TUT war aber niemals auf seinem Zettel …A GIRL LIKE YOU
Im Wandel der Zeit
Einige Jahre später, Anfang der 2000er, habe ich ein neues Cover für eine CD Ausgabe von „1994“ gestaltet. Inzwischen konnte man durch den Einsatz von Computern und Grafikprogrammen ganz andere Sachen realisieren. Das war vorher schlicht für den Laien nicht möglich.
Ich verwendete für die Neuveröffentlichung Fotos, die Phil 1993 gemacht hatte und verfremdete sie. Das passte, wie ich fand, gut zur Stimmung des Albums. Die Aufnahmen habe ich dann 2004 auch neu gemastert, mittlerweile war die Entwicklung im Softwarebereich gut vorangekommen, die Kinderkrankheiten, wie bspw. bedingungslose Kompression zu Lasten der Dynamik, kompromisslose Lautheit etc. waren überwunden. Ich habe dafür die Original-Analog-Tape-Masterbänder genommen.
The World Outside
Die Tapes und später auch die CDs liefen alle in limitierten Auflagen, was bedeutet, dass nur wenige in den Umlauf gekommen sind. Zumindest die Originale. Immerhin gab es in verschieden Fanzines einige Besprechungen. Leider habe ich da nur noch eine – die Besprechung aus dem „URGH“ (Nr. 7), einem klassischen Fanzine aus Leipzig. Ich finde, dass passt gut zum Independent Gedanken, den auch ich immer mit der Musik, dem Aufnehmen und Vertreiben von Tapes, später dann CDs, verbunden habe.
Zugabe
Etwa 1997 gab es eine neue Tape-Auflage von 1994, mit anderem Cover und jeder Menge Bonusmaterial. Es war ein komplettes C-90 Tape, also fast 90 Minuten Musik von TUT. Auf der B-Seite war eine Compilation von älteren Stücken. Ich kann mich nicht erinnern, wie viele davon in den Umlauf kamen. Die A-Seite basierte auf den digital gemasterten Stücken von 1994. Das haben wir irgendwann 1994 in einem Studio in Nürtingen gemacht.
Hier die komplette Tracklist von „1994“ der Unimportant Things
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Teil 3: Voices (Release 1995) demnächst!
Weiterlesen:
Der erste Teil der Story über THE UNIMPORTANT THINGS: Wie alles begann
Die Zeit vor TUT
The Real Deal (Leipzig Underground 1987-1989)
Gegen den Strom: Reininghaus (1986-1988)